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Bingen und seine Geschichte     von R. E. Hammer

Dem Chronisten ist es aufgetragen, die Rhein-Nahe-Stadt und ihre Geschichte aufzuzeichnen - dies kann wohl nur in einer kurzen Wegführung durch die verschiedenen Zeitabschnitte vergangener Jahrhunderte möglich sein, ohne dabei den Anspruch erheben zu wollen, lückenlos und folgerichtig die einzelnen Epochen gefunden zu haben.

Schon die Römer haben die verkehrspolitische bedeutsame Lage Bingens erkannt. Der Naheübergang, wo sich die Rheinstraße von Mainz nach Koblenz mit der Straße von Mainz nach Trier über den Hunsrück gabelt, gab Anlaß, hier ein Kastell zu errichten: Castellum Bingium.

Römische Götter und christliche Kirche fanden in der Frühzeit des 6. Jahrhunderts, hier erste Berührungspunkte (Grabstein Priester Ätherius). Es folgte der Wandel zum fränkischen Gedankengut. Nach der Übernahme des früheren römischen Staatslandes war das Kastell Bingen in den Besitz des Frankenkönigs gekommen.

Die Reichsurkunde von Verona
Die Veroneser Reichsurkunde vom 14. Juni 983, ausgestellt von Kaiser Otto II., grenzte den Landdistrikt zwischen Taunus und Hunsrück beiderseits des Stromes administrativ ab und schuf damit die Basis für die regionale Verwaltungstradition mit Sitz in Bingen.

Die mittelalterliche Stadt am Zusammenfluß von Rhein und Nahe war für Kaufleute und Fahrensleute auf dem Strom immerzu ein Halte- und Angelpunkt. Im Jahre 1646 schrieb Merian unter ein von ihm gefertigtes Bildwerk: " ... Bingen ist ein lustig Stadt, so gleichsam in einem Rachen liegt, da sich das Gebirg zu beyden Seiten zusammenzeucht und ist solche Stadt dem Domkapitel des hohen Stift Maijntz gehörig, oben an der Statt (Stadt) ein steinerne gewölbte Brück über die Nau oder Nahe geht."

Enge Wohnbezirke – enge Straßen
Das Stadtinnere bot in damaliger Zeit keinen gerade erbaulichen Anblick. Um die Burg herum lagen noch sehr viele Weinberge, so daß Gebäude und Wohnhäuser nach dem Kern der Stadt zusammenrücken mußten. Die Straßen waren wenig planvoll angelegt – eng, krumm und winkelig - dazu war das Pflaster holperig und schmutzig.

Namen und Bezeichnungen
Die Namen erhielten die Straßen zum guten Teil von den Handwerkern, die darin wohnten oder hier ihre Werkstätten und Kaufläden hatten: Schmittgasse (Schmiede), Loehr- und Gerbhausgasse (Lohgerber), Beuchergasse (Tuchfärber), ebenso Salzgasse (Salzverkäufer und Fischhändler), Badergasse (Badestuben) und noch viele andere mehr. Diese Namensgebung ist bereits um 1407 bis 1439 zu finden.

Die ortsansässigen Juden wohnten in einem abgeschlossenen Stadtviertel (Getto), das schon 1391 als "Judengasse" bekannt und eingetragen war und später zur Rathausstraße wurde. Früh belegt sind auch die Scharngasse (1540: Scharen- und Schrannengasse für die Fleischbänke und Metzger), die Hasengasse (1304) der Freidhof (1367), die "Gruben" (1429: Groben und Graben), das "Paradys" (1482: Paradiesgäßchen), die "Schoggel" (Schulgasse an der Mädchenschule), und das in der Vorstadt, außerhalb der Stadtmauer liegende Leitergäßchen, in dem die Schiffer und Steuerleute ihre Behausungen hatten. Die Wohngebiete und Wohnungen waren klein und eng. Handel und Wandel vollzogen sich in offener Werkstatt oder im Freien am Kaufmannsstand.

Auch trugen die Wirsthausschilder im 16. und 17. Jahrhundert hinweisende Namen, so "Zum Riesen", "Zum Schwanen", "Zum Hirsch", "Zur Krone", "Zum Engel", "Zum Adler" und "Zum weißen Ross", - um auch hier einige Beispiele zu nennen.

Die Lebensgewohnheiten
Anders, als in heutiger Zeit, verliefen die Lebensgewohnheiten der Bewohner. Neben den Gastwirtschaften gab es in damaliger Zeit schon die heute noch beliebten Hecken- und Straußwirtschaften. Nur zur festgesetzten befristeten Zeit (4 Wochen) durften die selbstgezogenen Weine (damals wie heute) ausgeschenkt werden. Dies wurde durch Aufstecken eines grünen Straußes über der Haustür der Winzerwohnung angezeigt.

Gastwirte und Winzer durften nach der erlassenen Polizeiverordnung keiner ehrbaren Person Herberge und Aufenthalt verweigern, andererseits aber den Gästen nur bis 8 Uhr des abends Sitzgelegenheit gewähren. Zu dieser Stunde wurden die Lichter gelöscht.

Bevölkerung und Familien
Im mittelalterlichen Bingen läßt sich die genaue Bevölkerungszahl mit Sicherheit nicht angeben. Hungersnöte und Krankheit (besonders die Pest), Stadtbrände und Kriege verursachten einen ständigen Wechsel in den Familienregistern. So wurde bei der großen Feuersbrunst von 1403 fast Dreiviertel der Stadt in Schutt und Asche gelegt. Die Zuwanderungsquote war in diesem Zeitabschnitt nur sehr gering. Nach vorsichtigen Schätzungen betrug die gesamte Bevölkerungszahl am Ende dieses Jahrhunderts 3000 Seelen.

Quelle: Stadtarchiv Bingen